22. Sonntag nach Trinitatis
Leitmotiv: Schuld und Vergebung
Wochenspruch: „Bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte.“
Psalm 130,4




Predigt
zum Text
Mittwoch: Römer 7,14-25

Es ist eigentlich erstaunlich, dass gerade dieser Text so gern als Beweis dafür angesehen wird, dass der Mensch im Kern seines Herzens böse ist, denn er sagt das Gegenteil. „Ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen“. Für Paulus ist das in diesem Fall eine anthropologische Grundaussage, weil er im Römerbrief seine Fundamentaltheologie entfaltet und alle Bezeugungen eigener Erfahrung, die er hineinwebt, dort dem Ziel grundlegender, allgemein gültiger theologischer Aussagen dienen. Mit anderen Worten: Dass da einer „Lust hat an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen“ hat, ist nicht nur von Paulus und seinesgleichen ausgesagt, sondern von den Menschen schlechthin. Der klare Beleg dafür findet sich in Kapitel 2 dieses Briefs, wo Paulus, grundlegend für seine zentralen Ausführungen über die Rechtfertigung, darlegt: Sowohl Juden als auch Nichtjuden verfügen über das Gesetz, der Unterschied liegt nur darin, dass die Juden es auch noch in Form der Tora schriftlich haben, während es allen andern „nur“ ins Herz geschrieben ist, so deutlich allerdings, dass niemand zu Recht behaupten kann, er habe keinen Maßstab zur Beurteilung seines tatsächlichen Verhaltens. Doch, wir haben ihn: Er ist uns ins Herz gelegt, und wenn wir auf diese erinnernde Stimme in uns hören, dann erkennen wir, dass sie zutiefst unserem Wesen und unseren Bedürfnissen entspricht: Wir haben Lust daran. Logisch entspricht dem ein Zweites in diesem Text, das genauso wichtig ist und das genauso häufig fehlinterpretiert wird, was wieder erstaunlich ist, weil Paulus so klare Worte dafür findet: Die Macht der Sünde ist uns wesensfremd. Wir erfahren, dass wir nicht tun, was wir eigentlich wollen! Unser Wille, wenn wir nur ehrlich genug danach fragen, ist wirklich gut! „Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.“ Sünde ist also immer irgendeine Art von Versklavung gegen unseren eigenen Willen. Die Sünde ist das Böse, nicht der Mensch, den sie versklavt!

Dass es heute fast unmöglich erscheint, von Sünde ohne demütigenden, abwertenden Beiklang zu reden, ist die Folge der langen, falschen theologischen Tradition, aus der Not der Versklavung eine moralische Entwertung des Menschen zu machen, der versklavt ist. Aus der anthropologischen Grunderfahrung, dass wir das Gute wollen, uns aber so grausam schwer damit tun, es zu verwirklichen, weil eine Macht, die uns wesensfremd ist, dagegen ist, wurde das Pauschalurteil, dass jeder Mensch, dem es so geht, böse ist, das Böse liebt, das Gute hasst. Das ist nichts anderes als die Verteufelung des Menschen. Paulus hätte sich diesen Schuh nicht angezogen: „Du behauptest, dass ich das Gute gar nicht will? Von wegen - und ob ich es will!“



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