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10. Sonntag nach Trinitatis
Leitmotiv: Die Kirche und Israel
Wochenspruch: „Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist,
dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat.“ Psalm 33,12 |
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Mittwoch:
Römer 9,1-5.31-10,1-4
Der Stein des Anstoßes für die orthodoxen Juden damals, die sich der neuen Lehre des
Christentums gegenüber feindselig verhielten, war nicht die Lehre an sich, sondern ihr
theologischer Kernpunkt: die Glaubensgerechtigkeit. Die trennende Grundfrage ist gar
nicht die des Absolutheitsanspruchs des Christentums gegenüber dem Judentum vice versa,
sondern eben jene: Gerechtigkeit aus Glauben oder Gerechtigkeit aus Werken? Paulus
identifiziert sich mit dem verlorenen Sohn, der seinen älteren daheim gebliebenen
Bruder vorbehaltlos liebt. Er fühlt sich in den älteren ein und empfindet stark
dessen achtbare Ernsthaftigkeit, aber auch die enge Quälerei seiner fruchtlosen
Frömmigkeitsbemühungen. Paulus sagt damit keinesfalls, dass der jüdische Glaube
per se gesetzlich eng sei. Er weiß um seine Schätze, die Grund zu großer Freude
sind für jeden Juden, der sie sich bewusst macht. Aber er sieht offenbar, dass
sich sehr viele nicht freuen, sondern quälen. Diese vielen brauchen Rettung, denn
ihr Glaube ist so krank wie der des daheim gebliebenen älteren Sohnes.
Dass Paulus sich sogar um dieser Rettung willen vorstellen kann, selbst von
Gott verworfen zu werden, zeigt deutlich, dass er die Frage der Prädestination
nicht unter dem Gesichtspunkt des jüngsten Gerichts betrachtet, wonach Verwerfung
ewige Hölle und Erwählung ewigen Himmel bedeutet, sondern dass es ihm um den
Sinn der so ganz unterschiedlichen Wege Gottes mit den Menschen bei gleichen
Voraussetzungen geht, also um die wesentliche Teilfrage des Theodizeeproblems,
warum Gott die einen in die Irre gehen lässt und die anderen nicht. Das
tröstlliche Ziel, so wird er den Gedankengang in Kapitel 11 abschließen,
ist immer, dass Gott sich aller erbarme.
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