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Miserikordias Domini
Leitmotiv: Der Gute Hirte
Wochenspruch: „Ich bin der gute Hirte.
Meine Schafe hören meine Stimme,
und ich kenne sie, und sie folgen mir;
und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ Johannes 10,11.27-28 |
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Dienstag:
Hesekiel 34,1-16.31
Das ist ein ergreifender, zentral wichtiger Text über Machtmissbrauch. Wenn Jesus sagt:
„Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden“, meint er damit alle Bereitschaft
und alles Potenzial zum Dienst. Jede Form von Machtmissbrauch hat ihr Wesen darin, dass
die Macht nicht in den Dienst gestellt wird. Nach Gottes Willen ist alle Macht zum Dienst
gegeben. Das Grundproblem des Machtmissbrauchs ist die Missachtung der Goldenen Regel:
„Was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut ihnen.“ Ich will, dass mich meine
Mitmenschen ergänzen und dass ich sie ergänzen darf. „Ich brauche dich und du brauchst
mich“ ist das Prinzip gelingenden menschlichen Miteinanders und damit auch das
schlechthinnige Prinzip des Glücks, weil der Mensch ein Beziehungswesen ist und
nur in gelingender Beziehung Erfüllung findet. Dieses Brauchen ist nicht Abhängigkeit,
sondern Bedürfnis. Der Satz „Ich brauche dich“ ist nicht identisch mit dem Satz „Ich bin
abhängig von dir“. Abhängigkeiten entstehen unter anderem durch Machtmissbrauch; der
Machtmissbrauch zieht seine Kraft daraus, andere abhängig zu machen. Er stellt die
Abhängigkeit her, indem er Angewiesenheit erzeugt und diese gegen den Bedürftigen ausspielt,
zu dessen Schaden und zum eigenen Vorteil. Nach außen hin kann das ganz sanft und fromm
aussehen oder auch so, als würde gar nichts geschehen. Vielleicht ist die häufigste
und subtilste Form des Missbrauchs von Angewiesenheiten das Ignorieren. Wer durch
Ignorieren seine Macht auspielt, hat immer noch einen starken Trumpf in seiner Hand,
nämlich das Argument „Es ist doch gar nichts“, oder „Ich habe doch gar nichts getan“.
So wäscht man seine Hände in Unschuld. Aber gerade darin, nichts getan zu haben, liegt
dann der Machtmissbrauch.
Brauchen als Angewiesensein im Unterschied zur Abhängigkeit bedeutet: Es liegt
ein echtes Bedürfnis vor. Das heißt: Es entspricht der natürlichen Veranlagung
dieses Wesens, dass dieser Bedarf gedeckt wird. Bei Tieren nennt man das
„artgerechte“ Haltung. Schafe zum Beispiel brauchen unter anderem gute Weide,
gutes Wasser und einen guten Hirten. Sie sind angewiesen darauf. Abhängig sind
sie nicht, denn abhängig zu sein ist absolut: Wenn ich nicht bekomme, wovon
ich abhängig bin, kann ich nicht mehr leben. Ein Schaf ohne Hirten kann in
der Vereinzelung weiterleben, aber unter sehr schwierigen Umständen. Die
Wahrscheinlichkeit, dass es bald zugrunde geht, ist hoch. Weil der Mensch
kein Schaf ist, sind seine Fähigkeiten, unerfüllte Bedürfnisse auszugleichen,
ungleich größer. Das stolze und tapfere „Ich bin auf euch nicht angewiesen!“
dort, wo der Mensch den Machtmissbrauch anderer erlebt, trifft durchaus zu,
im Sinne der Entscheidung, auf etwas zu verzichten, das man eigentlich
brauchen würde. Aber das Leben wird schwerer dadurch. Nicht selten wird
es grausam schwer dadurch.
Nicht nur die Schwachen werden Opfer des Machtmissbrauchs, sondern gerade auch
die Starken. Angewiesen sein bedeutet nicht nur, dass Schwaches geschützt und
gestärkt wird, sondern genauso auch, dass Starkes erfährt, willkommen, geachtet,
gewollt und gefördert zu sein. Gebraucht zu werden mit den Gaben und Kompetenzen,
die wir haben, ist vielleicht unser größtes seelisches Bedürfnis überhaupt.
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