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Montag:
Hebräer 4,14-16
Offenbar hat Jesus die Himmel durchschritten, indem er durch die Hölle ging. Denn genau das
macht ihn ja zu unserem „Hohenpriester“: Dass er nicht von oben herab kommt und herablassend
für uns da ist, sondern dass er von unten herauf kommt und uns in der ehrlichen,
unverfälschten Haltung des Dienens aufhilft. Wenn er in jeder Hinsicht versucht wurde
genau wie wir, dann bedeutet das eben nicht, was ihm so häufig angedacht wird: dass er
doch irgendwie anders als ein Mensch war, ein Übermensch, dass er einen göttlichen
Rückzugsort in seiner Seele hatte, auf dem er zum Menschlichen seiner Zweitnatur Abstand
nehmen konnte, um wenn auch bedrängt, aber doch erhaben darauf Einfluss zu nehmen. Nein,
der Menschensohn ist ganz Mensch und „ganz“ bedeutet ohne Ausnahme, völlig ungespalten,
völlig eins. Seine Göttlichkeit zeigt sich nicht anders als in dieser ganzen und wahren
Menschlichkeit. Das ist wesentlich: Nicht nur in der Ganzheit, sondern auch in der
Wahrheit. Allein das macht ihn so anders als uns andere, dass er ganz und gar wahrhaftig
ist, ganz und gar wahrer Mensch. Darum ist er ohne Sünde.
Indem er durch die Hölle ging, durchschritt er den Himmel; indem er ganz und wahrhaftig
Mensch war, erwies er seine Göttlichkeit. Die Wahrhaftigkeit seiner Mitmenschlichkeit
konnte sich nicht anders ereignen als in der Gemeinschaft des Leidens. Darum erfüllte
sie sich in der Kreuzigung. Als wahrer Mensch musste er alle Wahrheit menschlicher
Erfahrung am eigenen Leib erleben, als Mitbetroffener des menschlichen Schicksals
musste er der Allerbetroffenste sein.
Wir sind, im Unterschied zu ihm, nicht die wahren Menschen. Wir entziehen uns dem
Mitleiden durch Lüge. Das ist unsere größte Not, so wie es unser größtes Bedürfnis
ist, wahre Mitmenschlichkeit zu leben und zu erfahren, denn nur die wahre
Mitmenschlichkeit ist die wahre Gemeinschaft. Unsere Liebesfähigkeit ist
sehr begrenzt - im Unterschied zu seiner, aber unser Liebesbedürfnis ist
grenzenlos groß. Darum brauchen wir ihn. Und er ist wirklich für uns da,
um uns zu ermutigen und anzuleiten, damit wir nicht resignieren, sondern
geduldig unsere engen Grenzen erweitern.
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