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Freitag:
Hebräer 12,12-22
Der Hebräerbrief ist hoch ambivalent. Er beinhaltet sowohl Frohbotschaft als Drohbotschaft.
Das zeigt sich auch an diesem Abschnitt. Der Hebräerbrief ermutigt mit den schönsten Bildern
zu Gottvertrauen und Menschenliebe und droht mit den schrecklichsten Strafen dem, der sich
nicht darauf einlässt. Psychologisch lässt sich das nicht vereinigen, weil Angst und
Vertrauen nicht kompatibel sind. Bei dem Gott, der ein „verzehrendes Feuer“ ist (Vers 29),
kann sich kein Mensch geborgen fühlen.
Wir werden dem Brief kaum gerecht, wenn wir die Drohbotschaft abmildern. Wir sind
aber auf der richtigen Spur, wenn wir ihn aus der Perspektive des ambivalenten
Gottesbildes betrachten, das uns im Text für den Dienstag dieser Woche, Exodus 33,
begegnete, wo Mose von Gott vor Gott Schutz erfährt. Die Reformatoren griffen diesen
Gedanken auf, indem sie zwischen dem „verborgenen“ und dem „offenbaren“ Gott
unterschieden. Der verborgene Gott ließ sich einst äußerst angsterregend auf
dem Berg Horeb nieder. Der offenbare Gott begegnet uns voller Freundlichkeit
in der Gestalt Jesu Christi.
Darin ist der Hebräerbrief konsequent und darum beansprucht er auch seinen Platz
im Neuen Testament: Der Weg des christlichen Glaubens wird allein durch die
entschiedene Ausrichtung auf den offenbaren Gott in Jesus Christus gefunden.
Insofern lässt er sich schon mit der johanneischen Aussage vereinbaren, dass
in der Liebe zu Gott keine Furcht ist. Dass er dennoch mit teilweise sehr
harten Worten droht, mag daran liegen, dass er stärker als die anderen
Briefe des Neuen Testaments in der Tradition des Alten Testaments steht.
Dort wird dem gänzlich lieben Gott nicht wie in großen Teilen der späteren
christlichen Theologie der böse Teufel sozusagen als Anti-Gott entgegengestellt,
dem man alles Übel zuschieben konnte, um sein liebes Gegenstück von aller
Schuld daran freizusprechen. Im Alten Testament kommt letztlich alles,
was uns widerfährt, von Gott, Gutes wie Böses. Dass es dem Hebräerbrief
tatsächlich um diesen strengen Monotheismus geht, deuten auch die
vorhergehenden Verse an, in denen er die Frage der „Züchtigung“ durch
Gott thematisiert. Dort wird wieder deutlich, dass er vor allem
ermutigen will. Allerdings bewegt er sich mit seiner Erklärung
des Leidens als Erziehung hart an der Grenze zur Argumentation der
Freunde Hiobs.
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