Einführung




Die Übung der LECTIO DIVINA besteht nicht darin, dass wir selbst etwas produzieren, sondern dass wir uns Ruhe gönnen, um hörbereit zu empfangen. Dieses Empfangen ist ein achtsames Wahrnehmen. Wir lassen bei uns ankommen, was wir aufnehmen. Wir verweilen dabei. Maria, die Mutter Jesu, behielt die Worte, die sie hörte, und bewegte sie in ihrem Herzen (Lk 2,19). Es geht um beides: Behalten und Bewegen.

Mir scheint, dass viele Christen, aktive Bibelleser eingeschlossen, mit dem Behalten Probleme haben, wodurch das Bewegen auch erschwert wird. Überwiegend lernen sie unsystematisch und willkürlich, was in der Bibel steht. Dadurch können große Defizite und Einseitigkeiten entstehen. Oft lässt auch die Abfolge der Gottesdienste keinen lehrmäßigen Zusammenhang erkennen. Manche Gemeinden wirken dem durch Reihen von Themenpredigten entgegen. Das ist sicher immer wieder mal eine gute Alternative. Man muss die Kontinuität der Lehre im Gemeindeleben aber nicht unbedingt neu erfinden, denn es gibt sie schon längst. Es gilt nur, das Gegebene zu aktivieren und intensivieren. Ich spreche von der alten, guten Ordnung des Kirchenjahres. Damit besitzen wir einen großen Schatz, der uns immer zur Verfügung steht. Die Übung der LECTIO DIVINA dient dazu, so viel wie möglich das beständige Behalten und Bewegen zu praktizieren. Das aufgenommene Wort der Bibel möchte einen bleibenden Eindruck in uns hinterlassen. Es möchte uns durch die Woche begleiten. Es möchte uns immer wieder in Erinnerung kommen und neu ansprechen. Auf diese Weise will es uns innerlich prägen und verändern.

Jeder Sonntag des Kirchenjahres hat ein Leitmotiv. In engem Bezug dazu steht der jeweilige Wochenspruch. Das ergibt mehr als 50 wichtige Themen biblischer Lehre im Lauf eines Jahres. In den Evangelischen Kirchen wird den Verkündigern für jeden Gottesdienst des Kirchenjahres ein Predigttext vorgeschlagen, der wiederum inhaltlich auf das Leitmotiv bezogen ist. Natürlich soll nicht jedes Jahr über den gleichen Text gepredigt werden. Darum hat man sechs Predigtreihen geschaffen. In jedem Jahr werden die Texte einer dieser Reihen für die Predigten verwendet. Wenn die sechs Jahre vorbei sind, beginnt man von Neuem mit der ersten Predigtreihe. Diese Einteilung in den Wochenspruch und sechs Bibeltexte, die dazu vorgegeben sind, das Thema des Leitmotivs zu entfalten, ist meiner Ansicht nach die beste Textauswahl für die sieben Tage jeder Woche der persönlichen täglichen „Stille Zeit“ insbesondere von evangelischen Christen, die auch gleichzeitig in den Gottesdiensten ihrer Kirchengemeinden diesen Themen und Texten begegnen. Optimal finde ich es, wenn man sich darüber hinaus auch noch in den Bibelgesprächs- und Hauskreisen an dieselbe Grundordnung hält.

Das Kirchenjahr ist in drei Hauptsegmente gegliedert: den Weihnachtskreis, den Osterfestkreis und die Trinitatiszeit. Da das Kirchenjahr nicht deckungsgleich mit dem Kalenderjahr ist, gibt es in jedem Jahr gewisse Verschiebungen. Vor allem wechselt die Anzahl der Sonntage nach Epiphanias und nach Trinitatis. In den 54 Lectiones sind nicht alle möglichen Sonntage enthalten, zum Beispiel fehlt der 23. So. nach Trinitatis. Wenn solche Sonntage im jeweiligen Kirchenjahr auftreten, was aber selten der Fall ist, müssen Sie die Lücken eben sinnvoll überbrücken. Unter Nr. 891 im Evangelischen Kirchengesangbuch sind alle Sonn- und Feiertage des Kirchenjahres mit Wochensprüchen und Predigtreihen aufgeführt.

Es wird eine Erleichterung für Sie sein, im Voraus die Wochen des Kirchenjahres denen des Kalenderjahres zuordnen zu können. Das können Sie aus verschiedenen Websites ersehen. Am übersichtlichsten ist der schlichte „Evangelische Liturgische Kalender“ von Eike Fleer unter der URL http://www.eike-fleer.de/kalender01/2018.htm.

Ich lade Sie ein, wenigstens für die Dauer eines Jahres täglich den angegebenen Bibeltext zu meditieren und sich dazu den Impuls meiner kurzen Texte geben zu lassen. Schaffen Sie sich dazu einen ungestörten meditativen Rahmen und beginnen Sie jede Meditation, indem Sie erst einmal so gut wie möglich zur Ruhe kommen. Das gelingt am besten, wenn man eine entspannte, aber aufrechte Sitzposition einnimmt und sich eine Zeit lang nur darauf konzentriert, das gleichmäßige Auf und Ab des eigenen Atems wahrzunehmen.

Meine Texte enthalten auch sachliche Informationen zum Bibeltext, sie sind aber in erster Linie persönlich, denn sie sind alle aus meiner persönlichen Textmeditation hervorgegangen. Lassen Sie sich darum bitte auch persönlich davon ansprechen und vielleicht manchmal auch herausfordern. Mir ist wichtig, dass Sie dadurch angeregt werden, Ihre eigenen Gedanken zu denken. Nehmen Sie sich täglich mindestens eine Viertelstunde Zeit dazu. Sehr hilfreich für das Behalten und Bewegen kann es sein, wenn Sie Ihre eigenen Gedanken zum Text in ein Tagebuch schreiben.

In den 54 Kapiteln von LECTIO DIVINA werden in Übereinstimmung mit den Leitmotiven des Kirchenjahres viele wichtige und auch zentrale Themen des christlichen Glaubens behandelt. Wenn Sie diesen geistlichen Übungsweg durchschritten haben, mag es Ihnen so vorkommen, als hätten Sie etwas Ähnliches wie ein theologisches Fernstudium oder eine Art Bibelschule absolviert. Ja, das darf und soll es auch sein. Es ist ein Bibelstudium, bei dem einem nicht vorgesetzt wird, was man zu denken und zu glauben hat; ein spirituelles Bibelstudium sozusagen, das zum ganz persönlichen, freien Dialog mit den Texten der Bibel inspiriert, in der Hoffnung und im Vertrauen, dass es ein Dialog mit Gott selbst sein darf.

Ich kann mir gut vorstellen, dass unterwegs der Wunsch in Ihnen entsteht, diesen bewussten Weg durch das Kirchenjahr auch in Zukunft weiter zu gehen und von Mal zu Mal noch intensiver in die Themen einzudringen. Tun Sie das! Sammeln Sie Materialien dazu. Vertiefen Sie, was Sie besonders interessiert. Ich halte es auch so. Darum reichere ich die die Seiten zu den Wochenthemen fortlaufend mit vertiefenden und ergänzenden Bestandteilen an. Dadurch wächst allmählich ein Fundus von Impulsen und Materialien zu den Wochenthemen heran. Sie können ihn zur weiteren persönlichen Meditation verwenden, gern aber zur Umsetzung für andere in Andachten, Bibelgesprächskreisen oder Predigten.

Die Texte habe ich meiner Lutherbibel in der Übersetzung von 1984 entnommen.

Ich wünsche Ihnen viel Freude an der Lectio divina. Vielleicht wird für Sie ja eine gute Gewohnheit darauf.

Ihr

Hans-Arved Willberg

Zum Schluss darf ich mich noch vorstellen, falls Sie mich nicht schon kennen. Das mache ich mit diesem Link zu einer Seite, auf der einige Angaben über ich zusammengefasst sind:    > Link H.A. Willberg




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