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Dienstag:
Matthäus 18,15-20
Dieser Text wird in der Regel falsch gelesen, darum wird er auch falsch verstanden und
missbräuchlich angewendet. Zwei kleine Wörter machen den Unterschied: „an dir“.
Interessant ist, dass diese beiden Wörter nicht in allen überlieferten Handschriften,
die dem Bibeltext zugrunde liegen, enthalten sind. Dem Auslegungsprinzip für solche
Fälle zufolge, wonach die schwierigere Variante für die ursprünglichere zu halten
ist, kann man davon ausgehen, dass „an dir“ im Original stand. In den Handschriften
finden sich immer wieder solche „Verbesserungen“.
Wir können also folgern, dass der Text schon sehr früh falsch gelesen wurde. Das
„an dir“ störte. Wenn wir es aber ernst nehmen, können wir aus dieser Aussage Jesu
kein allgemeines Gesetz der „Gemeindezucht“ machen. „Rein sachlich“ festzustellen,
dass jemand gesündigt hat, und ihm darum den Prozess zu machen, steht uns nicht
zu, es ist vielmehr kennzeichnend für den Pharisäismus. Dieses Wachen über die
Sünden anderer hat im Lauf der Kirchengeschichte die schwersten Schäden
angerichtet. Alle Ketzerverfolgungen, Hexenverbrennungen und Kreuzzüge sind
aus dieser Anmaßung entstanden.
Durch das „an dir“ erhält diese Weisung Jesu aber einen ganz anderen Charakter.
Es geht, wie so oft im Neuen Testament, um die Frage der konstruktiven
Kommunikation. Konstruktiv bleiben können wir dort, wo andere uns Unrecht
tun, wenn wir selbstbewusst damit umgehen. Das kann zum Beispiel bedeuten,
dass ein christlicher Angestellter seinem christlichen Chef mutig widerspricht
und widersteht, wenn der unter dem Deckmantel der Brüderlichkeit auf unfaire
Weise Macht über ihn ausübt. An diesem Beispiel sehen wir, dass die Wörtchen
„an dir“ der Auslegung des Textes wirklich eine ganz andere Richtung geben:
Aus dem autoritären „Überwacht euch gegenseitig!“ wird das autonome
„Leistet mutig und selbstbewusst Widerstand, wo euch Unrecht geschieht!“
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