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Samstag: Wochenspruch
Wir lassen uns vom Bösen überwinden, wenn wir selbst innerlich böse werden. Das geschieht,
wenn wir das, womit wir äußerlich zu kämpfen haben, als Böses interpretieren. Tatsächlich
können menschliche Verhaltensweisen schlichtweg böse sein, weil sie schlichtweg unmenschlich
sind, und sie können daraus entstehen, dass der Täter Böses denkt. Kains Entscheidung,
Abel umzubringen, ist ein böser Gedanke, der zum bösen Verhalten führt. Aber obwohl Kain
Böses denkt und tut, ist er nicht als ganzer Mensch böse, er wäre sonst nicht Mensch,
sondern Teufel. Wir lassen uns vom Bösen überwinden, wenn wir Menschen verteufeln.
Dadurch werden sie uns zu Unmenschen, die ihre Menschenwürde verlieren. Genau darin,
in der Leugnung der Menschenwürde, besteht aber das eigentlich Böse.
Das Böse ist immer unnatürlich. Nicht böse ist, was uns die Natur zufügt, selbst wenn
es sich um die schlimmsten Erfahrungen handelt. Erdbeben zum Beispiel sind ein
schreckliches Übel, aber nichts Böses. Es macht keinen Sinn, die Erdkruste zu
personifizieren und ihr eine böse Absicht zu unterstellen, wenn sie sich bewegt.
Solche Erfahrungen gehören zu den Bedingungen des Daseins, insbesondere die
Erfahrung des Sterbens. Wenn wir den Anspruch erheben, es müsste eigentlich
anders sein oder wenigstens nach unseren Vorstellungen geschehen, täuschen wir
uns selbst. Auch dann stehen wir in Gefahr, uns vom Bösen überwinden zu lassen,
indem wir nämlich Gott selbst verteufeln: Wir verzeihen ihm nicht, dass die
üblen Erfahrungen uns persönlich und andere Menschen treffen, die uns wichtig
sind. Und vor allem verzeihen wir ihm nicht, dass er das böse Verhalten
anderer Menschen zulässt. Wir folgern daraus, dass Gott selbst böse ist.
Natürlich sollte man einem bösen Gott nicht die Ehre geben. Darum scheint
es logisch, nicht an ihn zu glauben.
Bei der Überwindung des Bösen geht es zuerst um das Böse in uns selbst: Dass wir
uns von dem, was uns die Lebensfreude rauben will, auf keinen Fall böse machen
lassen. Zwischen Kains großer Enttäuschung und Wut und seinem Entschluss zur bösen
Tat besteht ein gewaltiger Unterschied. Die Sünde lauert vor seiner Tür, sagt Gott
zu ihm; es liegt an Kain selbst, sie einzulassen oder nicht. Wenn wir den Drang
zum Bösen in uns selbst abwehren, üben wir auch auf unsere Umwelt eine entsprechende
Wirkung aus. Wir fluchen nicht, wir segnen. So wandeln sich die Teufelskreise des
bösen Vergeltens zu Engelskreisen.
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