|
Sonntag:
Lukas 6,36-42 Evangelium
Jesus stellt die Grundhaltung des Gebens der Grundhaltung des Forderns gegenüber. Die
Grundhaltung des Gebens schaukelt sich, wenn sie gelebt wird, positiv auf, die Grundhaltung
des Forderns negativ. Oder anders gesagt: Beide Grundhaltungen sind ansteckend: Der Gebende
motiviert seine Mitmenschen, selbst auch zu geben, so wird ein Geben und Nehmen daraus.
Der Fordernde motiviert sie, selbst auch zu fordern, so wird eine Eskalation des Abgrenzens,
des Richtens, der Rechthaberei und des Besserwissens daraus, woraus die entsprechenden
Emotionen und Verhaltensweisen resultieren. Das bezeichnet Jesus als fruchtlose, sinnlose,
ziellose Blindheit: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Ein sehender Mensch
hingegen hat den offenen Blick für das Bedürfnis des Andern und davon wiederum selbst
den größten Gewinn.
„Der Jünger steht nicht über dem Meister, wenn er vollkommen ist, so ist er wie
sein Meister.“ Dieser Satz scheint auf den ersten Blick merkwürdig unverbunden
zwischen den anderen zu stehen. Aber er hat seinen guten Sinn an dieser Stelle:
„Jünger“ heißt „Schüler“. Wir lernen voneinander. Wir sollten uns nicht einbilden,
dass wir signifikant Besseres hervorbringen als unsere Vorbilder: Wenn wir uns an
verblendeten Menschen orientieren, erblinden wir selbst. Wenn wir Jesus zum
Vorbild nehmen, prägt uns das ebenso. Wenn wir aber behaupten, es besser
zu wissen und zu machen als unsere Vorbilder, betrügen wir uns selbst.
Man kann nicht gleichzeitig Jesus folgen und einer wahrheitsblinden Ideologie.
Man kann es versuchen, aber man wird dann nicht mehr Jesus folgen, sondern
den blinden Blindenführern, die sich mit Vorliebe damit brüsten, die
erleuchteten wahren Führer zu sein. Man mag sich weiterhin für einen
Christen halten, aber man wird in die Grube fallen.
Jesus nennt solche Zwiespältigkeiten „Heuchelei“. Heuchelei ist ein Leben in
Unwahrhaftigkeit. Wahrhaftig zu werden heißt zu allererst, zu sich selbst zu
kommen. Das geht nicht ohne stille Einkehr. Selbstfindung ist die Voraussetzung
für ein Leben im Segen. Wer sich selbst findet, wird frei von der Selbstsucht,
unabhängig von den Anderen und frei für sie zugleich.
|
|