Invokavit
Leitmotiv: Anfechtung und Versuchung
Wochenspruch: „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre.“ 1. Johannes 3,8




Predigt
zum Text
Dienstag: Genesis 3,1-19

Obwohl wir die Schlange wie selbstverständlich mit dem Teufel identifizieren, ist doch vom Teufel in der Geschichte vom „Sündenfall“ überhaupt nicht die Rede. Es wird sogar ausdrücklich festgestellt, dass die Schlange kein Teufel ist, sondern eine Tier. Wenn wir also ganz eng an dem bleiben, was der Text aus sich heraus sagt, dann findet hier ein Dialog zwischen Tier und Mensch statt, in dem das Tier den Menschen durcheinander bringt und verführt, nicht dem zu folgen, was Gott ihm gesagt hat.

Die großen Ethiken des Abendlands von Platon bis Kant und darüber hinaus haben die Herrschaft des Bösen über den Menschen durchgängig darauf zurückgeführt, dass der Mensch durch eigene Entscheidung die Machtverhältnisse zwischen dem Animalischen in seiner Seele und dem spezifisch Menschlichen, nämlich seiner Vernunft, verkehrt. Wenn die Vernunft das Animalische regiert, bleibt der Mensch menschlich, das Böse bemächtigt sich seiner nicht. Wenn aber das Animalische die Vernunft versklavt, entmenschlicht sich der Mensch und das Tier in ihm wird zur Bestie. Er wird in sich gespalten, er kommt nicht mehr damit zurecht, als Tier zugleich auch Mensch zu sein. Er findet sich nicht mehr in sich selbst. Er verliert sein menschliches Selbstbewusstsein und kann sich doch nicht von dem Wissen lösen, anders geschaffen zu sein als das Tier. Weil er es in sich nicht mehr findet, da das Tier in ihm herrscht, verlagert er es in den äußerlichen Unterschied, und der besteht zunächst vor allem darin, dass er weder Federkleid noch Fell hat. Seine Nacktheit ist ihm unheimlich, sie erinnert ihn an seine Identität, und diese Erinnerung ruft ihn zur Rückbesinnung auf sich selbst. Die Menschenliebe Gottes, sein Ursprung und seine Bestimmung, redet darin als Stimme des Gewissens, weist zurück von der äußeren Blöße auf die innere, ruft ihn zurück aus der Gespaltenheit in die Einheit und Gemeinschaft des Vertrauens. Aber er versteckt sich und verhüllt sich, scheinbar in Natur, wirklich aber in Unnatur. Sein Kleid ist künstlich.

So ist die Schlange zunächst also gar nicht das Symbol des Teuflischen, sondern das Symbol des Tierischen. Dass sie listig ist bedeutet nicht, dass sie böse ist, aber es weist auf die starke suggestive Macht des Animalischen in uns hin. Wenn wir diese Macht, die sich in den starken Emotionen äußert, beherrschen, dient sie uns zum Besten wie das Ross dem Reiter, und die Sünde bleibt, wie die anschließende Kainsgeschichte zeigt, vor der Tür. Wenn nicht, „geht uns der Gaul durch“ - wir verlieren die Kontrolle: Anfang alles Mordens, Neidens, Rächens, Lügens, Unterdrückens bis zur Sintflut und wieder neu und weiter bis zum Turm zu Babel.

Nicht böse ist die Schlange, sondern listig. Sie hat einen Kopf - das Animalische in uns hat seine eigene Intelligenz, die soll uns nicht verführen, sondern dienen. Aber weil wir nicht mehr herrschen darüber, fürchten wir uns, verleugnen diese animalische Intelligenz in uns, zertreten der Schlange den Kopf. Darum beißt sie uns in die Ferse: sie lähmt uns, wir erstarren in der Künstlichkeit, wir wissen nicht mehr, was natürlich ist, als nacktes Tier, als entmenschlichter Mensch, der, wie Kierkegaard sagte, zugleich verzweifelt er selbst und verzweifelt nicht er selbst sein will. Diese Verzweiflung ist unsere Gespaltenheit und diese Gespaltenheit ist Unnatürlichkeit. Und das nennt die Bibel Sünde.



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