Vorletzter Sonntag nach Trinitatis
Leitmotiv: Das letzte Gericht
Wochenspruch: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.“ 2. Korinther 5,10



Donnerstag: Jeremia 8,4-7

Man muss zum rechten Verständnis des Textes noch den achten Vers hinzunehmen: „Wie könnt ihr sagen: ‘Wir sind weise und haben das Gesetz des Herrn bei uns’? Ist’s doch lauter Lüge, was die Schreiber daraus machen.“ Daraus ist ersichtlich, dass Jeremia hier eine ganz bestimmte Form der Irrationalität reflektiert, nämlich die religiöse. Sie zeigt sich in der Unnatürlichkeit. Es ist naturgemäß, dass ein Lebewesen nach der rechten Orientierung sucht und, nachdem es sie einmal verloren hat, sich befreit aufschwingt, wenn es sie wieder findet. Aber der religiöse Wahn ignoriert die Natur zugunsten absurder Anschauungen und Normen, die dem Einzelnen wie der Gemeinschaft nur schaden. Er baut dogmatische Gefängnisse, in die sich jeder so genannte „Gläubige“ zu fügen hat, um nicht unter Androhung von Höllenstrafen aus der heiligen Gemeinschaft entfernt zu werden. Die Angst regiert. Angst lähmt die Vernünftigkeit und lässt das Nächstliegende, das schlicht Natürliche, nicht mehr erkennen, mithin auch den Nächstliegenden am Wegrand.

Der dogmatische Kerker ist ein Wahn, weil er nur eingebildet ist. Diese Gefängniszellen haben keine Riegel. Die Türen sind auf. Nur die Macht des Dogmas, der autoritäre Anspruch festgeschriebener Gesetzlichkeiten, weist in die Schranken der religiösen Unnatur. Jeder, der den Mut findet, kann einfach hinausspazieren. Kein Blitzstrahl göttlichen Zorns wird ihn treffen, nur der Bannstrahl der religiösen Fanatiker, denen er sich nicht mehr beugt. Der allerdings kann, wie das Beispiel Jeremias eindringlich zeigt, heftig sein.



E-Mail: info@isa-institut.de       Datum der letzten Änderung: 01.11.2020