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Donnerstag:
Johannes 8,3-11
Jesus duckt sich weg, mag man zu diesem „Bücken und auf die Erde schreiben“ sagen, er
entzieht sich der Gerichtsverhandlung, er hat damit nichts zu tun, er beschäftigt sich
gerade mit Wichtigerem. Wichtiger als ihr großspuriges Auftreten ist es, irgendwas,
das niemand liest, in den Sand zu kritzeln. Mit dieser symbolischen Geste spricht
Jesus denen das Urteil, die das Urteil über die ertappte Frau gefällt haben. Sie tun
ja so, als sei es mit goldenen Lettern in Marmor gemeißelt - mosaisches Wort,
göttlicher Befehl, heilig, ewig, sehr erhaben.
Sie sind nicht ernst zu nehmen mit ihrer Wichtigtuerei. Sie sind so wenig ernst
zu nehmen wie heute Christen ernst zu nehmen wären, die ein mosaisches Gebot
wie dieses zur Norm eines christlichen Gerichtswesens nehmen wollten. Ernst zu
nehmen wäre nur ihre Gefährlichkeit, man müsste alles tun, um ihre Mitmenschen
vor ihnen zu schützen.
Es gibt eine Rechthaberei und Arroganz, die weder dialogfähig noch dialogwürdig
ist. Vielleicht verdichtet sie sich am stärksten dort, wo Menschen erstens
im verlogenen Bewusstsein reden und handeln, die Vertreter der einzig
wahren Gerechtigkeit zu sein, wo sie sich zweitens darin zum Kollektiv
zusammenschließen und wo sie drittens ihr Rechtsverständnis unmittelbar
von scheinbar unantastbaren göttlichen Edikten herleiten. Der christliche
biblizistische Fundamentalismus ist diesen drei Gegebenheiten stets gefährlich
nah, und wenn er nicht in ähnliche Rigorismen verfällt wie zum Beispiel
der fundamentalistische Islam, dann liegt es daran, weil sich zum einen
Bibeltexte wie dieser stark gegen eine menschenverachtende Auslegung
sperren, wie auch vieles, was den Kern des christlichen Glaubens
überhaupt ausmacht - mit einer andern Religion täten sie sich leichter;
zum andern liegt es an ihrer Inkonsequenz. Wo aber auch immer mit dem
Diktat der buchstäblichen Schriftauslegung Ernst gemacht wird,
entwickelt sich der Fundamentalismus (wie übrigens auch in anderen
Religionen) zur Sekte. Eine Sekte ist dadurch gekennzeichnet,
dass sie es besser weiß und besser macht als alle andern.
Jesus spricht diese Frau nicht nur ein bisschen frei, sondern völlig, und er
tut dies nicht nur, weil sie Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse ist,
weil es also stark mildernde Umstände gibt, sondern er tut es, weil er die
Anklage aufhebt. Nur wer ohne Sünde ist, kann sich überhaupt anmaßen, über
das Verhalten dieses Menschen zu urteilen, es sei denn, sein Urteil erfolgte
aus der barmherzigen, mitfühlenden, mitleidenden Solidarität des Sünders
mit dem Sünder, nach dem „Gesetz Christi“: „Einer trage des andern Last“.
Sie ist vollkommen akzeptiert, vollkommen rehabilitiert. Nichts hat sie
zu sühnen, keine Bußleistung zu erbringen, um wieder einigermaßen
gesellschaftsfähig zu werden. Sie ist nur einfach wieder und neu
in Verantwortung gestellt. Darum: „Sündige hinfort nicht mehr.“
Das heißt ganz schlicht: „Du bist hingefallen, steh wieder auf,
und lerne ganz einfach aus dem Fehler.“ Mehr nicht. Jesus reicht
ihr die Hand und richtet sie auf.
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