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Inhaltliche Zusammenfassung
Beten ist Herzensbewegung. Das Herz bewegt sich nicht selbst, sondern es wird bewegt durch
den Geist. Wir beten, wenn der Heilige Geist das Herz bewegt. Diese Erfahrung lässt
sich aber nicht von der Bewegung unseres eigenen Geistes trennen, weil die Trennlinie
zwischen unserem Geist und dem Geist Gottes nur eine gedachte ist, eine Hilfslinie wie
die Bleistiftlinien einer Skizze, durch die wir einen Gegenstand vom anderen dort
scheiden, wo es in Wirklichkeit gar keine Linie gibt, das nachzeichnende Abbilden
einer Realität, deren Wirklichkeit der Zeichnung ähnlich, aber doch auch ganz anders
ist. Weil jeder Geist dem Wesen nach unsichtbar ist, lässt er sich noch dazu gar
nicht gegenständlich denken. Greifbar wird uns nur die Wirkung. Gebet ist Geisteswirkung.
Das Beten im Namen Jesu ist Beten in Übereinstimmung mit seinem Willen und dadurch mit dem
Willen Gottes (Joh 16,23ff). Die Zusage der völligen Erhörungsgewissheit, die Jesus uns
gibt, bezieht sich auf das Gebet des Herzens, sofern es mit dem Willen Gottes übereinstimmt.
Wenn wir Gottes Ziele auch im Allgemeinen einigermaßen begreifen und bejahen, machen wir
uns doch oft falsche Vorstellungen davon, wie der Weg dorthin aussieht. Daraus entsteht
die scheinbare Diskrepanz zwischen der zugesagten Gebetserhörung und der tatsächlichen
Gebetserfahrung. Weil wir noch nicht genug davon verstehen, wie sich Gottes Wille in
unserem Leben konkretisieren will, interpretieren wir die enttäuschte Gebetshoffnung,
das Nein Gottes zu unseren Bitten, als existenzielle Bedrohung, auf die wir mit großer
Angst und Wut reagieren, so wie sich eine Hummel dem Blatt Papier widersetzt, mit
dem ihr Retter sie von den verzweifelten Versuch, durch ein geschlossenes Fenster
zu fliegen, in die Freiheit dirigiert. (Lk 11,5-13).
Es gibt zwei Schwerpunkte des Betens: Dank und Klage. Das dankende Beten erkennt Sinn
in der Erfahrung, weil sie erkennbar der Weg zum guten Ziel ist. Das klagende Beten
kann den Sinn noch nicht erkennen, ringt aber mit aller Macht darum. Klage und Dank
sind eins in der Radikalität des Vertrauens und darin des Widerstands gegen den Sorgengeist
(Kol 4,2-6). Im Festhalten des Vertrauens liegt die Kraft des Betens. Gott ist
durch und durch barmherzig und hält sein Versprechen, sich über uns zu erbarmen
(1Kö 8,22-28).
Aus sich selbst heraus kann Gebet gar nichts bewirken. Es bewegt auch nicht Gottes Arm,
wie oft behauptet wird, denn Gott bewegt sich selbst. Alle Selbstwirksamkeit,
die dem Gebet zugeschrieben wird, beruht auf magischen Vorstellungen. Das bedeutet
nicht, dass Beten keine heilsamen Auswirkungen auf unsere Seele hat. Im Gegenteil:
Die Herzensbewegung ist die große Kraft der Inspiration und Ermutigung.
Die Herzensbewegung des Betens wirkt sich darin aus, dass wir Verantwortung übernehmen.
Mit der Intensität des Betens korrespondiert die Weite des Horizonts der wahrgenommenen
Verantwortung. Der Betende wird zum Stellvertreter. Er betet nicht gegen die Welt,
sondern für die Welt, weil ihn der Geist dazu bewegt, nicht gegen sie, sondern für
sie zu sein. Er entzieht sich nicht der Welt, sondern solidarisiert sich und stellt
sich unter ihre Last. In dieser Stellvertretung im Namen Jesu, in seinem Willen und
seiner Vollmacht also, findet die Kirche ihren Sinn. Ein Beten, das sich nicht in
wahrgenommener Verantwortung konkretisiert, sondern sie ersetzt, ist Geschwätz
(1Tim 2,1-6). Darum sagte Dietrich Bonhoeffer: „Wer nicht für die Juden schreit,
darf auch nicht gregorianisch singen“.
Der ganze christliche Glaube ist Herzensbewegung der Sehnsucht. Das Ziel der Sehnsucht
ist die Liebe Gottes, die sich in Jesus offenbart hat. Wir verlangen nach der wahren
Menschlichkeit, die in seinem Leben Ausdruck fand, in seinem Handeln zum bleibenden
Zeichen der Hoffnung wurde und in seinem Worten mit uns geht. Nichts als die Liebe
zieht und treibt den echten christlichen Glauben und durch nichts sonst ist er in
höchstem Maß attraktiv für alle Menschen (Himmelfahrtsfest, Joh 12,32).
Vorschläge zur Vertiefung
- Üben Sie hörendes Beten. Experimentieren Sie damit. Finden Sie Ihren eigenen Stil.
- Meditieren Sie die Geschichte von Maria und Marta (Lk 10,38-42). Was bedeutet für Sie
selbst das „Eine, das not tut“? Konkret?
- Überlegen Sie, ob und wo Sie in der Vergangenheit die Achtsamkeit der echten Klage
und des echten Dankens durch Gebetsaktivismus kompensiert haben. Wie sieht Ihr Beten
aus, wenn es nur noch das zum Inhalt hat, was wirklich Ihr Herz bewegt?
- Welche Anzeichen erkennen Sie dafür, dass die Gebetsbewegung Ihres Herzens Sie in
konkrete Verantwortung führt? Was bedeutet das für Sie?
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