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Mittwoch:
2. Korinther 6,1-10
Dieses fast grenzwertige Selbstbewusstsein resultiert also daraus, die Gnade nicht vergeblich
empfangen zu haben. Trotz der langen Liste von Demütigungen, Misserfolgen und
Missverständnissen scheint Paulus sich seiner Sache völlig gewiss zu sein; was ihm
äußerlich geschieht, irritiert ihn innerlich nicht, es muss ihm alles zum Besten
dienen, es macht ihn innerlich nur stärker, mutiger, lebensfroher. Das ist nicht nur
ein schöner Gedanke, den er idealisiert, sondern das ist sein Hier und Heute. Hier
und heute stellen wir die Weiche, hier und heute entscheiden wir, ob wir das Leben
bejahen oder verneinen. Mag das Ja uns auch entsetzlich schwer erscheinen, möglich
ist es hier und heute, denn es liegt in unserer Macht. Und dass uns diese Macht
hier und heute - an jedem Hier und Heute - zur Verfügung steht, das ist die wahre
Gnade. Denn wenn ich tatsächlich allezeit fröhlich bin, dann fehlt mir nichts.
Es ist einzig eine Frage der Deutung: Ob ich das, was mir in die Quere kommt, als
definitiven Minusstrich interpretiere, ein äußeres Nein zu meinem Leben, dem ich
mich zu fügen habe, weil es sonst keine Wahrheit gibt, oder ob ich es immer nur
als die halbe Wahrheit verstehe: als ein Minus, das durchkreuzt werden will zum
Plus, durch meine eigene, lebensbejahende Antwort darauf. Ob ich das, was in
die Quere kommt, als deprimierende Niederlage oder als Herausforderung verstehe,
die mich, so schwer sie auch ist, nicht überfordert, weil ich einen Weg finde,
mit ihr umzugehen, sie zu bewältigen, einen Weg, der mein Selbstbewusstsein
stärken wird, weil mein Widerstand meine Fähigkeiten aktiviert, so dass sich
zeigt, was wirklich in mir steckt. Paulus wäre nicht Paulus ohne diese
Bedrängnisse; seine Authentizität hängt ganz wesentlich davon ab, wie er
sie auslegt und bewältigt.
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