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Dienstag:
Exodus 3,1-14
Ein Naturphänomen wird für Mose der Einstieg zu einer tiefen mystischen Erfahrung mit
außerordentlich weit reichender Wirkung. Mose geht hin, um die „wundersame Erscheinung
zu besehen“. Er lässt sich also aus dem Schematismus seines Alltags herauslocken, Neues
wahrzunehmen und zu entdecken. Der Schematismus besteht nicht nur aus gewohnten Abläufen,
sondern auch aus eingeschliffenen Sichtweisen. Mose definiert sich in einem neuen
sozialen Kontext als Schwiegersohn des Jitro und in der erfahrenen beruflichen Identität
als Schafzüchter. Sein Horizont hat sich geschlossen. Er hat sich den Umständen gefügt.
Er braucht keine Vision mehr. Mose erinnert sich, dass sie früher einmal sein Denken
bestimmte, aber das ordnet er jetzt als einen Jugendtraum ein, der auf schlimmste
Weise scheiterte. Es ist anzunehmen, dass er resigniert hat.
Dennoch brennt die Flamme des Glaubens an Freiheit und Gerechtigkeit unauslöschlich
in seinem Herzen. Das Naturphänomen des brennenden Busches (in der Sinaiwüste gibt
es ein sehr ölhaltiges Buschgewächs, das sich bei starker Hitze selbst entzünden
kann) wird ihm zum Spiegel des eigenen Brennens; er wird sich des Feuers neu
bewusst. In diesem heiligen Moment begreift er, dass sein Leben Zukunft hat,
weil er berufen ist, der Flamme seines Herzens Raum zu geben. Sie treibt ihn
zum Handeln.
In dieser mystischen Erfahrung findet Mose sich selbst. Seine Selbstfindung und
seine Gottfindung sind identisch. Er findet sich selbst in Gott. Seine Gottfindung
ist seine Sinnfindung. Der harte Bruch des Scheiterns hat seinen Lebenszusammenhang
zerrissen und ihn ins Abseits geschleudert. Sinn ist die Wahrnehmung eines
hoffnungsvollen Zusammenhangs. Der Sinn seines Lebens war ihm verloren gegangen.
Aber hier entsteht er neu.
Darum nennt er seinen Gott den Sinngeber. „Ich werde sein, der ich sein werde“
bedeutet ja genau dieses: „Ich bin der sinnvolle Zusammenhang in deinem Leben,
A und O, Anfang und Ziel. Ich bin die Rechtfertigung deines Daseins.“
Moses Gottesbegegnung am Dornbusch ähnelt sehr der Gottesbegegnung Hiobs im
„Wettersturm“. Wie für Mose das Feuer ist für Hiob die Weite des Naturhorizonts,
die sich im Gewitter demonstriert, der Spiegel seines eigenen weiten Horizonts.
Deshalb verlässt Hiob die Enge des geschlossenen Systems seiner Anklage, das
in sich selbst ganz logisch ist und ihm darum alle Hoffnung raubt. Auch Hiob
kommt zu sich selbst, als er Gott im Wettersturm begegnet. Er wechselt
seine Perspektive. Er findet ein neues Ja zum Leben und tritt hinaus
und hinein in die Weite des Horizonts seines unverändert großen
Schaffenspotenzials.
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