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Dienstag:
Lukas 1,26-38
Der Text gesellt sich zu Marias Magnifikat (Text vorgestern). Maria ist keine Leihmutter,
die sich Gott aussucht, weil er ja irgendwie das Projekt, einen richtigen Menschensohn
zu haben, vollenden muss und darum nun einmal eine Frau benötigt, um das Baby auszutragen.
Sondern wie Jesus der Erstgeborene wahrer Menschlichkeit sein wird, ist sie die
Ersterwählte des gesellschaftlichen Umbruchs, der dem Christentum in die Wiege
gelegt ist: Die Letzten sollen die Ersten sein. Zu den Letzten in ihrer Gesellschaft
gehören in hohem Maß Frauen wie sie. Der Umbruch besteht darin, dass die
grundsätzliche Asymmetrie des Geschlechterverhältnisses durch den Geist der
Liebe, der im Christentum herrscht, überwunden werden soll. Gott schuf den
Menschen in der komplementären Einheit des Weiblichen mit dem Männlichen
bei völliger Gleichwertigkeit und notwendiger Bezogenheit aufeinander. Um
das zu betonen, wird der Erwählungsakt Marias sozusagen durch Elisabeths
Erwählung gedoppelt. An beiden geschieht dasselbe Zeichen: Unmögliches
verwirklicht sich. Die scheinbar unaufhebbare Unfruchtbarkeit, höchste
Schande der ohnehin schon erniedrigten Frau in diesem System, löst sich,
und diese beiden, die scheinbar dazu verdammt waren, bis an ihr Ende
unterdrückte und ausgebeutete Randfiguren der Gesellschaft zu bleiben,
rücken in die Mitte des Heilsgeschehens; namenlose Sklavinnen werden
zu hoch gepriesenen Königinnen und die Gewaltherrscher, die den Wandel
mit allen Mitteln zu verhindern suchen, müssen stürzen. Das ist die
prophetische Verheißung des Magnifikat.
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